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FREUDENTÄNZE DER WILDEN

Die Lehre des Tanzmeisters Hottotte, einem Angehörigen eines eurasischen Restvolks, 
Spiritualität und Mystik für Europäer
 
INHALT
Kapitel 1 -- Sich tanzen sehen 
Kapitel 2 -- Der Anlass oder die Tanzflächen

Kapitel 3 -- 
Ein Beweger des Geistes sein
Kapitel 4 --  TANZEN und Alltag

Kapitel 5 -- Ein paar praktische Hinweise





 KAPITEL 1
 
Prolog :   Sich tanzen sehen
Tepeh
Ich komme zu dir, dem berühmten Tanzmeister Hottotte, um Unterricht zu nehmen.

Hottotte
Sei gegrüsst. Woher kennst du meine Adresse?

Tepeh
Von der Tanzschule Blocher in Oerlikon. Die üben dort so eine Art Yogatanz, der von dir her inspiriert ist.

Hottotte
Der Blocher, aha... er ist geschäftstüchtig. Aber ich habe nichts mit jener Tanzschule zu tun. Weiss du, was ich lehre?

Tepeh
Ja.

Hottotte
Ich lehre, was von den Tanzkünsten meines Volkes noch bekannt ist.

Tepeh
Eben. Ich tanze zwar nicht gern. Aber ich hab gehört, dass es bei dir nicht ums Tanzen geht.

Hottotte
Um was sonst?

Tepeh
Um die Seele, die Erhebung der Seele.

Hottotte
Und das willst du lernen?

Tepeh
Ja.


Hottotte
Gut. 
In unserem Volk wurden stets Tänze ausgeführt. Das ist bis heute so. 
Bei uns üben alle das Tanzen, auch die Frauen.
Ganz ohne körperliches Tanzen wirst du nicht weg kommen.

Was bringst du mit?

Tepeh
Ich habe Zen geübt, Yoga, und habe transpersonale Psychologie studiert.

Hottotte
Und was ist damit?

Tepeh
Alles in Ordnung. Aber mich interessiert auch eure Kultur.

Hottotte
Du scheinst ein unruhiger Mensch zu sein.

Unruhig und unzufrieden sehr wahrscheinlich.

Tepeh
Ist das schlecht?

Hottotte
Nein. Wir beraten gern unruhige Menschen. Bei uns kannst du sogar unruhig herumzappeln. Du musst deine Unruhe nur richtig umsetzen lernen. Bei uns gibt es dafür den TANZ. Wir halten Bewegung für besser als das Stillsitzen.
Das unterscheidet uns von den Techniken der Yogis und der Zenmeister.

Tepeh
Ein deutscher Mystiker hat gesagt:
"Stillstehen so lange als möglich, ist dein Allerbestes."


Hottotte
Das denken wir im Kern zwar auch, aber wir sind der Meinung, dass dieses Stillstehen durch Bewegungen des Körpers zu erreichen ist.  
  

Tepeh
Dann ist bei dir, lieber Hottotte, also bekannt, was gelehrt wird?
 

Hottotte
Ich entstamme zwar einem primitiven Volk, aber wir sind inzwischen aufgestiegen zu esoterischem Wissen. Alles, was jemals im Bereich der Esoterik gesagt wurde, haben wir mit unserer Tanzkultur verglichen. Was Rothäute, Tibetaner, Deutsche, Chinesen und andere gesagt haben, hat uns stets bestätigt.

Tepeh
Euer Tanzen umfasst also alles?

Hottotte
Es ist eine Technik.

Tepeh
Wie das Stillsitzen?
 

Hottotte
Es geht immer um dasselbe. Das innere Stillstehen und die äussere Bewegung sind keine Gegensätze. 
Wir in unserem Volk haben  Bewegungen geübt, um das Höhere, das einzige Wesen zu finden. Und um ihm einen Ausdruck zu verschaffen. Das
innere Stillstehen ist gut. Doch wir meinen, es braucht nicht auch äusseres Stillstehen dafür.  Leute in Zenklöstern sitzen monatelang still da.
Bei uns wird versucht, dasselbe zu finden durch Bewegung.
 

Stillstand gibt es im Weltall nicht. Daher üben wir ihn nicht.

Tepeh
Es wäre der Mensch, der sich vor Gott still  machen muss, nehme ich an.

Hottotte
Ja. Meinetwegen.


Menschwerdung
Hottotte
Was wir bejahen, ist die Wirklichkeit dieses Lebens.
Es ist nichts Diesseitiges.  
Wir gehen hin auf eine Tanzfläche, um der Quelle zu begegnen.
Wir bewegen uns der Quelle wegen. Unsere Tanzkunst ist eine spezielle Art von Yoga, wenn man so will. 
Tepeh
Hatte es ähnliche und ebenso alte Wurzeln wie Yoga?
Hottotte
Unsere Tradition ist wahrscheinlich uralt. Aber du musst wissen, dass wir nicht zu den Schriftvölkern gehören. Wir wissen also nicht genau, wie es früher gewesen ist. Nachher dann, als wir in Kontakt mit anderen Völkern kamen, haben wir gesehen, dass wir nicht die einzigen waren, die diese Art von Tanz übten.

Tepeh
Alle Naturvölker haben getanzt. Aber spirituellen Tanz wie bei euch gab es wohl nur noch bei den Sufis.

Hottotte
Nein, nein. Es gab mehr, die es machten. Aber vielleicht sind wir die einzigen, die die alten Vorstellungen weiter entwickelt haben und zugleich in der Welt leben.
Wir sind nach und nach vom primitiven zum absoluten Tanzen gelangt. Das ist es wohl, was uns in der heutigen Zeit aktuell macht.  Du musst bedenken, es gab stets Schamanen, die dasselbe machten.

Tepeh

Inzwischen haben viele Europäer ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Auch ich. Daher frage ich dich.

Hottotte
Selbstverwirklichung kann nur geistig und religiös sein.

Tepeh
Glaubst du nicht an eine spirituelle Erneuerung in Europa und Amerika?

Hottotte
Nein.

Die Leute versuchen, freier zu sein von Pflichten, und sie suchen gemäss ihrer Neigung nach geschäftlichem Erfolg, Besitz und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen. Das stützt ihr Selbstbewusstsein, hat aber nichts mit Erkenntnis zu tun.  Wenn Menschen die Vorschriften ihrer Konfession ablehnen und auch sonst möglichst wenige Einschränkungen azeptieren, sind sie autonomer. Aber sie sind noch immer vollkommen unverwirklicht. Sie haben keinen direkten Draht zu etwas und sind noch immer  zu 90% fremdbestimmt.

Tepeh
Der Mensch von heute merkt nicht, dass er fremdbestimmt ist, weil die bestimmenden Mächte anonym sind.
Sie liegen in der Allgemeinheit des Denkens, der sich niemand verschliessen kann.

Für mich gilt jedenfalls, dass mich das Geheimnisvolle und Spirituelle anzieht. Ich möchte eure Tradition kennen lernen.  Ihr habt das uralte Wissen der Schamanen bewahrt.

Hottotte
Alle Leute, die zu mir kommen, wissen schon, was sie hören wollen. Aber sie irren sich meistens.
Schamanistisch  kann man es nicht mehr nennen, was wir machen.  
Es gab magische Tänze, Beschwörungstänze, auch Tänze in einer Maske. Wir kannten die Tänze, die zu Rausch und Besessenheit führten.

Jetzt ist es anders. Wir beschwören nicht mehr einen kleinen lokalen Geist.


Tepeh
Das weiss ich!  Ich habe gelesen:
"Das unbewusste Tanzen, das bis zur Besessenheit oder bis zur Ekstase führt, wird heute allerdings kaum noch geübt. Das ist vorbei. Geübt werden nur noch die spirituellen Tänze."
Hottotte
Ich kenne den betreffenden Artikel. Darin wird die Meinung vertreten, dass bei uns die Vernunft gesiegt hat, dass wir "sauber" sind. Das ist vollkommen unsinnig.  Eine Magie ist immer noch da.
Wir haben eine neue Ebene entdeckt, zusätzlich dazu. Aber die primitive Seite ist immer noch da.

Tepeh
Geht es im Tanz darum, das Unbewusste anzusprechen?

Hottotte
Ich weiss nicht, was das Unbewusste ist.
 

Tepeh
Du sollst der Hüter einer alten Tradition sein, habe ich gehört. Du bist spezialisiert auf die Essenz des Tanzes.


Hottotte
Die Essenz des Tanzes?

Tepeh
Kannst du darüber berichten?


Hottotte
Nein.

Tepeh
Offenbar kann man es doch.


Hottotte
Bei uns war es so: Zuerst waren die üblichen Umstände für einen Tanz vorhanden: eine Tanzfläche, eine Gruppe von Musikern oder von Trommlern und die Leute, die tanzen wollten. Gut, und dann ging es los!
Es war jedermann klar, dass der Tanz einen sakralen Charakter haben sollte.
Das war die Absicht. In diesem Sinn waren die üblichen Umstände für einen Tanz gemeint: die Tanzfläche, die Musik.
Die Leute traten in diesem Sinn auf. Die Trommler trommelten in diesem Sinn.
Wir haben viele Tanzanlässe gehabt im Verlauf eines Jahres. Alle diese Anlässe hatten etwas Zeremonielles.

Wir hatten Tanzbühnen. Sie wurden für den Anlass geschmückt, die Menschen schmückten sich ebenfalls.

Tepeh
Das war einmal. Aber jetzt ist es anders.


Hottotte
Es ist noch immer so. Immer noch
braucht es einen Anlass. Der Anlass ist und bleibt heilig. Für jede Erhebung braucht es einen Anlass. Wenn Musik und Perkussion fehlen, und wenn du keinen Tanzboden vor dir hast, wird es schwieriger sein, den Anlass zu erkennen.

Wichtig ist es, den Anlass zu bemerken,
Warte nicht auf ein Fest. Es braucht weder Musik noch sonst etwas.

Wir haben Jahrhunderte lang getanzt. Im Verlauf dieser Jahrhunderte haben wir entdeckt, dass es beim Tanzen nicht ums Tanzen ging, sondern um eine Erhebung.
Einmal war der Zeitpunkt erreicht, an welchem wir das bemerkten. Es wurde bemerkt, es wurde besprochen, es wurde begriffen. Von da an veränderte sich das ursprüngliche Tanzen.

Anfänglich war das Tanzen normal oder ein wenig ekstatisch.  Dann ging es weiter. 
Einige trennten sich von sich selbst, denke ich. Sie sagten es weiter. Und andere Tänzer versuchten, dasselbe Phänomen bei sich selbst zu erleben.
In jener Zeit begannen die Tänzer, ihr Tanzen objektiv wahrzunehmen. Sie sahen sich beim Tanzen. Sie fühlten sich tanzen.

Von da an war es anders.
Man konnte es auf das ganze Leben übertragen.

Du musst dir bewusst sein, dass es hier ja um unsichtbare, geheimnisvolle Erlebnisse geht, die nicht durch Worte übertragen werden können.  Durch das Tanzen geht es eher besser, weil der Verstand ausgeschaltet wird.

Tepeh
Aber die Tänzer SAHEN sich tanzen, was ist daran anderes als mein Normalzustand, in welchem ich mich ebenfalls bewusst erkenne?

Hottotte
Auf ihre Art sehen sich alle Menschen selber im sogenannte Normalzustand.  Damit beginnt es.

Tepeh
und beim Tanzen geht das weiter?

Hottotte
Ja.  Wer tanzt? Was ist der Tanz? Wer macht es? Wer sieht das Tanzen?

Die richtigen, mit dem Körper ausgeübten Tänze, wurden bei uns nie ganz aufgegeben. Aber für diejenigen, die es verstanden hatten,
gab es fortan das innere Tanzen, das Tanzen von innen her. Es wurde kosmisch. Fortan tanzten sie, um zu SEHEN, wie sie sich im Tanz befanden und um zu fühlen, was sie zum Tanzen brachte.

Tepeh
Wird seither nur-äusserliches Tanzen als minderwertige Tätigkeit empfunden?

Hottotte
Schon in frühen Zeiten wurde von Jugendlichen nicht nur das äussere Tanzen verlangt, sondern auch das innere.

Das äussere Tanzen war nur vollendet, wenn es auch innerlich vollendet war.

Tepeh
Aber niemand kann überprüfen, ob innerlich etwas erreicht wurde!

Hottotte
Nein. Man sieht es, man merkt es. Viele von uns erreichen das Ziel nicht.
Es spielt keine Rolle.

Bei unserem Tanzen ist man frei und bleibt auch frei.
 Wie der Tanz ausgeführt wird, ist nicht wichtig. Es ist jedem seine eigene Sache.
Die guten Tänzer geniessen das höchste Ansehen bei uns.  Das schon.


Tepeh
Ich habe gehört, dass ihr eure Tänze  als Freudentänze auffasst. Jedenfalls haben eure Tänze einen freudigen Charakter.

Hottotte
Diese Tänze dienen dazu, Frieden und Harmonie zu finden. Das ist eine Freude.




KAPITEL 2
Der Anlass oder Die Tanzflächen

Tepeh:
Welche Vorbereitung braucht es für den Beginn?

Hottotte
Keine. Fang einfach an damit! Bei uns tanzt man zum Vergnügen. Man tanzt bei jeder Gelegenheit. Getanzt wurde schon in früher Zeit sehr individuell, ohne vorgeschriebene Schritte. Weder Tango noch Foxtrott. Walzer wäre noch am besten.Viele tanzten mit geschlossenen Augen: innerlich.
Du kannst dich frei fühlen bei der Ausführung deines Tanzes. Du musst nur jede deiner Bewegungen benützen lernen. Das ist es. Jede Deiner Bewegungen bringt dich in den Tanz ein. Es braucht eigentlich nichts dafür. Einen Moment... Die Tatsache, dass du lebst, genügt.

Der Tänzer stimmt sich auf die Ebene ein, auf welcher er auftreten will. Er sucht sie auf, er betritt sie. Schon hat er zu tanzen angefangen...

Tepeh
Gibt es Hilfsgeister, die man anrufen kann?

Hottotte
Früher pflegte man auf den Tanzflächen oder am Rand derselben Götter zu sehen. Einige sagten mir, es sei gut, die Götter zu kennen und sie mit ihrem Namen anzurufen. Durch das Anrufen werde das Auftreten auf der Tanzfläche erst ermöglicht oder der Tanz werde beschwingter. Das mag sein. Wir haben ja oft sehr Mühe, überhaupt auf die Tanzfläche zu gelangen.

Doch bei der Anrufung von Geistern oder Göttern muss man aufpassen.

Wenn die real werden -- wenn auch nur wie in einem Traum -- dann bannen sie uns. Alle Götter machen unfrei.
Ich glaube, man sollte weder so noch so in eine Besessenheit hinein geraten. Unsere Tanzflächen sind nicht Traumgefilde.
Man soll nicht träumen auf der Tanzfläche, sondern im Gegenteil versuchen, zur Gegenwart zu erwachen.

Tepeh
Erkläst du mir, was eine Tanzfäche genau ist?

Hottotte
Es geht nicht mehr um Tanzbühnen wie früher.
Heute ist eine Tanzfläche einfach unser AUFTRETEN.
Es geht um den Moment, in dem wir vor dem Absoluten auftretren und ES mit uns.

Tepeh
... vor dem Absoluten auftreten?

Hottotte
Eine Tanzfläche ist ein Moment, und wir gehen hin. Wir gehen zu ihm hin. Was der will von uns und was er tut durch uns,
das wird hier TANZ genannt.  Wir treten hin, wir treten ein oder treten auf. Und dann geschieht bei uns etwas.  Es geschieht nicht nichts.
Darum sprechen wir von Tanz.

Auf einmal kommt der Kontakt zustande. Du bist dort. Du weisst es.
Die Tanzfläche ist vor dir! Ein grossartiger Moment! Du gehst hin. Du bist drin. Du bist drauf. Am Anfang wirst du vielleicht eitel und blind sein vor Ekstase.

Aber bei uns ist Ekstase nicht das Ziel. Wir wollen wach sein, wollen wach werden. Wir wollen die Tanzfläche sehen. Wir wollen uns selber sehen auf der Tanzfläche. Es geht weiter. Wir werden bewegt und machen mit.

Das ist die ganze Lehre. Mehr ist nicht zu sagen.

Tepeh
Willst du mich schon entlassen?


Hottotte
Ja. Denn ich kann es nicht für dich tun.  Du musst es selbst tun.


(Pause)

Tepeh
Wer ist vollkommen?


Hottotte
Das, was uns und die ganze Welt zum Tanzen bringt, vielleicht.

Als Mensch kann ich mich als Teil von diesem Ganzen fühlen und dem gehorchen, was mein Geist ist.

Das ist das, was der Tanz, den ich lehre, zustandebringt. Der Tanz führt zu Frieden und Harmonie und zu Kraft. Wir müssen das täglich üben. Das ist der praktische Sinn des Tanzes. Alle sollten es üben: jedes Volk, jeder einzelne Mensch. Wenn dieses Können dahinschwindet, kann es für immer verlorengehen. Das ist zum Beispiel in Europa geschehen. Da wurden alle diese Tänze vergessen. Sie sind in Europa unwiederbringlich verloren.

Tepeh
Nein. Das stimmt nicht. Das kommt von innen her wieder zu uns zurück.

Hottotte
Ja, du weisst es, du spürst es.  Du bist bald einer von uns.


(Pause)

Tepeh
Und jetzt?  Sag mir nochmals wie ich beginnen soll!

Hottotte
Wenn du allein bist, musst du den Anlass selber schaffen.
Tanzen ist Leben.  Ganz einfach
Dass es etwas von aussen braucht wie Musik oder Rhythmus, ist natürlich Unsinn.
Trotzdem kann Musik und Rhythmus anregen. Stell ein Musikstück an! Dann kannst du dich besser bewegen.
Wenn du den Körper bewegst, bewegst du dich GANZ. Du musst dann schauen, wie du zum SEHEN kommst dabei.

Es gibt  natürlich auch 
virtuelle, geistige, unsichtbare Tanzflächen. Sie werden durch Meditation gefunden. Aber es braucht den Auftritt auch in der Meditation, sonst sackt man ab.

Tepeh
Soll ich den gegenwärtigen Moment zum Anlass machen?


Hottotte
Der Anlass kann nur gegenwärtig sein. Anders ist ein Auftritt nicht möglich.

 Eine Tanzfläche ist eine hilfreiche Vorstellung für eine Verwandlung. Eine Tanzfläche ist ein Ort der Verwandlung.
Um das alles in einem Moment auszulösen, kannst du dir eine Geste, eine Körperbewegung, einen kleinen Ritus angewöhnen. Du musst eine Art haben beim Auftreten, wie es Charakterdarsteller haben, wenn sie die Bühne treten. Du musst schon geläutert dort ankommen.


Ja, ein Atemzug genügt schon , um auf die Tanzfläche zu treten. Mit einem Atemzug, einem einzigen, kannst du es schaffen und dort sein.

Das Auftreten auf einer Tanzfläche ist etwas Spannendes. Es ist ein Schritt, ein Ruck. Es geht nicht um Moral dabei. Du musst nicht denken: "jetzt lasse ich mein Ich los"oder "Jetzt fang ich an, Gott zu dienen". Nein, es ist nur eine grosse Vereinfachung damit verbunden. Das Auftreten erfolgt leicht. Aber da ist kein Programm für dich, nur Spiel. Eigentlich nur das eigene Sein. Da PRogramm macht jemand anderer.

Alles ist leicht. Unsere Tanzkunst ist nur ein Spiel. Alles dient der Befreiung. Du kannst den Moment, den du erlebst, als "den Tanz" deklarieren. Den nächsten auch, und so weiter. Das ist schon alles.
In unserem Volk wird gelehrt, dass Leben nicht nur auf der Erde stattfindet, sondern auch im Himmel. Das Geschehen im Himmel findet gleichzeitig statt. Was auf der Erde geschieht, ist nur der sichtbare Teil eines Gesamtgeschehens. Nun kann aber der Mensch abfallen von Gott, wie er bei euch heisst. Der Mensch kann sich verhärten. Dadurch wird gehemmt, was sich im Himmel vorbereitet. Dann findet es in diesem Leben eben nicht statt. Dieses Leben bleibt dann vielleicht unerfüllt.
Weil der Mensch selbst über kosmische Kräfte verfügt, kann er sich auch gegen  kosmischen Kräfte stellen. In meinem Volk wurde dies als eine Verfehlung des Sinns bezeichnet. Das ist der Grund, weshalb wir die Tanzkunst gepflegt haben. Weil sie einheit herstellt. Wir übten den Tanz, um eins zu werden und um Frieden und Harmonie zu finden. Wir wollten gleich sein wie der Himmel. Wir wollten Kinder Gottes sein.
Bevor wir auf eine Tanzfläche traten, hielten wir uns still, um besser zu hören. Wenn wir leer wurden, fürchteten wir nicht, etwas zu verlieren. Wach, erwartend, neugierig traten wir auf wie Kinder. Und dann bewegten wir uns im Tanz. Wir hielten uns dabei an das Nichts -- das innere Nichts, das wir liebten – und von dem wir glaubten, dass darin eine grosse Zauberkraft liege.

(Pause)

Tepeh

Es braucht den Willen, es zu tun.

Hottotte
Nein Sehnsucht.

Tepeh
Das heisst also: Wir müssen lernen, die wirklichen Sehnsüchte von uns auszugraben. Wir müssen Tanzflächen suchen und finden, um diesen Geist zu verwirklichen.

Hottotte
Nein, nicht "verwirklichen", . .. um ihn zu sein.

Der Auftritt auf der Tanzfläche ist ein Hinaustreten aus zusammenhangslosen Wirrnissen, und es ist eine Zusammenfassung der Wirrnisse zugleich. Es ist die gleiche Welt da, aber du kannst sie jetzt tanzen, statt nur erleiden. Was dich zum Tanzen bringt,  ist nat¨rlich die gleiche Herrschaft wie vorher. Dennoch ist es wie ein Schritt von hier nach da. Du trittst in ein neues Licht ein. 

In diesem Sinn musst du dir einen Ruck geben. Mit Verlangen, mit Leidenschaft. Du musst dir einen Ruck geben und abstossen. So kannst du auf die Tanzfläche fliegen.

Was ist eine Tanzfläche?
Dein Leben. Und, was du tust, ist dein Tanz.  Und wenn dein Tanz perfekt ist, ist das mit dem ganzen Kosmos vereint. Eine einzige Sache.  Aber sie ist bewegt. Du bewegst dich.  Du begrüssest die Bewegung.  Ob sie nun von dir her stammt oder noch von weiter weg her stammmt.


(Pause)
 
Stell dir einen Lichtkreis vor. Eine Arena. Alle, die das vor sich haben, verspüren eine grosse Anziehung. Und gleichzeitig geht es um eine Preisgabe.

Tepeh
Wenn er die Kontrolle verliert, fürchtet sich der Mensch.

Hottotte
Ja, aber hier ist auch die grösste Freude verborgen, die es gibt: Sie liegt im Hervorrufen des Eigenen.

 
(Pause)
Eine Tanzfläche ist über das Herz zu finden. So wie es verschiedene Herzgefühle gibt, gibt es verschiedene Tanzflächen.

Und in diesem Zustand wirst du bewegt. Du bewegst dich vielleicht selbst. Aber du weisst auch: Du wirst bewegt. Es bewegt dich. Du merkst vielleicht, dass du über deinem Körper bist. Nun bist du auf der Tanzfläche. Kannst du dich sehen?


Wir lehren: Nur durch Bewegungen kannst du eins werden. Stillstehen kann ein Mensch nicht. Keiner kann es. Tanzen ist der Grundgedanke. Die ganze Welt tanzt. Alles tanzt. Du kannst es auch anders nennen. Wir können die Welt nicht anhalten. Sie bewegt uns. Daher machen wir unsere Bewegungen. „Sehen“ wir das, dann vermögen wir unser Leben in einem höheren Licht zu sehen.

(Pause)

Hottotte
Die Tänze unseres Volkes wurden ursprünglich nur mit Perkussion getanzt. Es gab nur Rhythmus. Später, als wir dazu gelernt hatten, konnten wir auf die Erzeugung von Geräuschen verzichten. Da horchten wir auf das Schlagen des Herzens. Oder wir suchten das Schlagen der Trommel vorzustellen. Das ist ganz einfach.

Der Rhythmus ist wie ein Puls. Die Trommeln sollten ursprünglich wohl die Seelen einfangen und lenken. Darüber hinaus symbolisiert jede regelmässige Wiederholung die Kontinuität der Schöpfung und ihre Erschaffung jetzt, jetzt, von Moment zu Moment.
Wo gelangten wir zur Ekstase. Als wir dazu gelernt hatten, erkannten wir, dass wir von Trommeln und Rhythmen nicht abhängig waren.

Die Ekstase waren aber das Ziel und sind es bis jetzt noch.  Das darfst du nicht vergessen.

Zur jetzigen Zeit  führt wildes Tanzen zu Trommelschlägen immer noch zu Ekstasen. Bekannt sind die stummsinnigen hypnotischen Zustände, welche die Leute beim Musikonsum anstreben und erreichen. Was wir in unserem Volk lehren, steht in keinem Vergleich dazu. Es werden höher stehende Ekstasen angestrebt.  

Musikkonsum passt in fast keiner Form zu unserer Lehre vom Tanzen.
Wir lehren:  Wenn ein Mensch zum Sinn gelangen will, muss er Tänzer sein, er muss sein Leben selbst tanzen.

Es gibt keine andere Möglichkeit. In unserem Volk hat man sich relativ früh von den hypnotischen Formen des Kunstgenusses abgewendet.  Auch gute Kunst, Musik und Literatur lenkt ab.

Die Kunstschaffenden selbst  haben es besser.  Sie tanzen manchmal mit ihrem Schöpfer. Das ist das, was wir lehren.

Tepeh
Die Künstler werden bewegt.
Und ich? Ich will lernen zu erfahren wie ICH bewegt werde.
Woher kommen die Bewegungen?

Hottotte
Dieses Rätsel zu beantworten, ist der Sinn des Tanzes. Wir erproben es. Das heisst: Wir probieren es aus. Woher kommt es?

Wir können leicht den Körper bewegen. Wir wissen aber nicht, wie es geschieht. Wir bewegen Arme und Beine. Es wird auch das Herz bewegt, das Bewusstsein, die Seele. Auch hier wissen wir nicht, wie es geschieht. Aber es geschieht. Wir sind teils selbst die Beweger, teils die Empfänger von etwas.
 
(Pause)
Das ist alles, was ich zu lehren weiss. Wir haben mehr Rätsel als Antworten, das ist klar. Aber wir haben die Rätsel so ziemlich auf einen Punkt vereint. Das ist der Sinn unseres Tanzens.

Tepeh
Alle diese Rätsel zu beantworten, wäre der Sinn des Tanzes...?

Hottotte
Nein: Mit dem einen Rätsel zusammen zu tanzen oder angesichts des einen grossen Rätsels zu tanzen, das ist der Sinn des Tanzens.

 
Tepeh
Eine Frage noch:
Bin ich selbst der Schöpfer meiner Bewegungen? Oder bin ich nur der Ausführende? Ich möchte wissen, ob wir Menschen das Wort sind, wie es in der Bibel heisst, oder nur der Widerhall.

Hottotte
Beides. Der Kosmos oder der Schöpfer mit seinen Kräften wollte unser Leben und will es noch immer. In uns ist das Wort und auch sein Widerhall. Wir sind beides. Daher sind wir auch Schöpfer oder Beweger des Weltalls.

Als Tanzende finden wir die Harmonie. Wir finden die Harmonie zwischen dem, welches tanzt und dem, welches nicht tanzt. Es geht um die Harmonie oder Gleichzeitigkeit dessen, was in Bewegung ist und dessen, was die Bewegung veranlasst.
Daher üben wir das Tanzen. Bei der Vollendung des Tanzes haben wir unsere Existenz zurückgegeben. Wir haben unser Bewusstsein in das Bewusstsein jenes Wesens zurückgegeben.

(Pause)

Tepeh
Kennt ihr so etwas wie einen Gott?

Hottotte
Man darf nie diesen Ausdruck erwähnen.
Nie wieder!




KAPITEL 3    EIN BEWEGER DES GEISTES SEIN


Tepeh
Könntest du mir einige eurer Schritte und Gesten vorführen?

Hottotte (zum Spass führt der alte Mann verschiedene Bewegungen mit dem Körper aus: Schritte vor und zurück, Bewegungen der Arme auf und ab, Drehungen des Körpers, Gesten mit den Händen, sammelnd, schaufeld, greifend, schenkend, bannend, bergend, dann hopp: ein Sprung.)
Sagt dir das etwas?

Tepeh (wiegt den Kopf)
… Sagst du mir jetzt etwas über deine Vergangenheit, Häuptling?
 
Hottotte
Wir waren Nomaden. Dann wurden wir deportiert und zu Fabrikarbeit gezwungen unter Stalin. Nachher kamen die Deutschen und wir wurden nochmals deportiert und weiter zu Fabrikarbeit gezwungen. Von den Deutschen wurden wir geschont, weil unsere Kultur von ihnen studiert wurde. Einige der Nazis glaubten in unseren Riten urtümliches arisches Brauchtum zu finden. Sie wollten Rückschlüsse auf die alten Germanen ziehen. Die Kinder unseres Volkes durften Deutsch lernen. Später kamen erneut die Russen. Wir lebten jetzt in der DDR. Da studierte ich Religionswissenschaften und Philosophie. Als Volk sind wir heimatlos. Wir halten nur zusammen durch unsere Traditionen.

Tepeh
Seid ihr viele?

Hottotte
Immer ungefähr gleich viele. Durch Heiraten gab es vermehrt eine rassische oder ethnische Durchmischung. Das hat nicht zum Auseinanderfallen geführt, im Gegenteil. Wir haben dadurch neue Anhänger unserer Kultur erhalten. Das, was weitergeht, ist keineswegs die Zucht einer Rasse, sondern eine spirituelle Praxis. Das zieht zunehmend auch Leute an wie dich.

Tepeh
Und dann kann man sozusagen beitreten zu eurer Sekte...

Hottotte
Du kannst gleichzeitig noch katholisch bleiben, wenn du willst.
Wir sind eine Schulungsgemeinschaft.  Die Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle.

Wir betrachteten die Welt wie ein zu grosses Kleid. Man muss erst hineinwachsen. Wir verehrten das, was ist. Wir suchten gleich zu sein mit dem, was ist. Wir versuchten, uns mit dem Willen des Schöpfers zu verbinden.
Unsere Übungen haben ausschliess eine Freude zum Inhalt, nämlich die Freude zu verstehen und dazuzugehören. Nicht zu unserem Kult dazuzugehören , sondern zum Gesamten des Weltalls mit seiner sichtbaren und unsichtbaren Seite zu gehören.

Es gibt eigentlich nur Leben auf der Welt. Es ist das Ziel, dieses Leben und seine Quelle zu finden.
Durch die spirituelen Bewegungen und Tänze fangen wir das ein, was ist.  nur das, was schon da ist. Wir erzeugen nichts Neues. Selbstverständlich nicht.  Wir erzeugen insbesondere also keinen Wahnzustand.

Wir lehnen Suggestionen und Hypnose ab. Alle Menschen leben in einem Zustand von Wahn oder Autohypnose. Das Ziel ist, sich daraus zu befreien. "Befrei dich von allem" sagte ein Zenmeister.

In diesem Sinn ist unsere Kultur primitiv geblieben, unmittelbar und direkt.

Tepeh
Vergleicht ihr euch mit Bilderstürmern?  (lacht)

Hottotte
Allerdings. Wir sind die Ikonoklasten des Universums.
Für uns gilt: das Nichts, die Besitzlosigkeit.

Der Schöpfer dieses Universums ist der einzige Gestalter und Bildner und Denker.
Wir machen den Tanz mit. Wir sind leer dabei. Wir sind nur Medien. Wir führen aus.

Tepeh
Und demnach habt ihr kein Weltbild?

Hottotte
Ganz ohne eine Vorstellung von der Welt kann der Mensch nicht sein.

In meinem Stamm sagte man, dass die Welt von einem MENSCHEN ausgeht und dass man daher wieder zu DIESEM Menschen werden muss.
Was im Zentrum dieser Welt steht, ist ein MENSCH wie wir. Das ist der Grund, warum wir verstehen können. Das ist der Grund, warum wir Mensch werden können. Die Welt geht von einem ICH aus... von einem Wesen, das sich spürt als "ich".
Bei uns ist die Welt geistig, und wir bewegen uns auf das Geistige hin. Die Übung des Tanzens dient der Wiedervereinigung.

(Pause)

 
Wir tanzen, weil etwas Lebendiges uns tanzen lässt.

Das Umgekehrte gilt auch:
Der Geist macht jede Bewegung mit. Er kann nicht anders, denn die Welt ist ein einziges Stück. So können die Bewegungen, die ein Mensch mit den Händen, den Füssen oder der Seele macht, zu mystischen Bewegungen werden. Die Bewegungen lehren uns, die eigene Quelle zu finden.
DAS KLEINE UND DAS GROSSE
Unser Leben hier auf der Erde entspricht der Empfindlichkeit des wirklichen Wesens. Wir haben Lichtempfindlichkeit, Schmerzempfindlichkeit, Geruchssinn, Herzgefühl. Diese Empfindlichkeiten sind Eigenschaften des wirklichen Wesens.
Alle Sinnesfunktionen, alle Körperfunktionen sind ausgestrahlte Kräfte. Auch das Denken ist eine ausgestrahlte Fähigkeit. ... Dadurch entsteht das Ich, das wir kennen. Und das Ich, das anders ist, steht dahinter.
Mit solchen Erfahrungen haben wir in unserem Volk den Frieden gefunden. Wir haben darüber hinaus nichts gefragt.
 


KAPITEL 4  
   TANZEN UND ALLTAG


Hottotte
Unsere Tanzkunst ist für den Alltag gedacht. Fürs Leben. Unsere Tanzkunst ist geeignet, im Alltag über den Dingen zu stehen.

Wenn du in deinem Leben die Vereinigung findest und dich sehen kannst als „Tänzer“, dann lebst du einfach, wie du musst. Warum solltest du ein anderer Mensch sein als du selbst?
Du stellst dich selber dar. Du lässt dich selbst entstehen. So bewegst du dich. Tanzen bedeutet, aus der Quelle heraus leben. Was sonst? Es muss den ganzen Tag über geschehen.
Teils sind wir selbst die Beweger des Geistes, teils empfangen wir die Impulse. Welche Impulse? Was kommt da zu uns, was wird uns eingegeben? Es ist sehr vielfältig.

Tepeh
Beim Tanzen kann man auch stürzen.
Hottotte
Tatsächlich. Man kann auch aus dem Takt fallen.
Das Leben ist ein Tanz, so oder so. Es kommt vor, dass alles missrät. Wir haben oft ein Durcheinander im Kopf, eine Verwirrung, einen Schmerz, eine Wut.  Und daher ist die Praxis wichtig. Der Tanz muss geübt werden, ausgeübt. Die Fähigkeiten können auch verloren gehen.
 
Tepeh
Du hast gesagt:

Der Auftritt auf der Tanzfläche muss in einem Moment geübt werden. In jedem Moment?


Hottotte
Wenn du kannst ...

Tepeh
Eure Religion beruht auf etwas Gegenstandslosem. Was ihr macht, ist ein Kult des gegenwärtigen Augenblicks.


Hottotte
Das stimmt. Das ist der wesentliche Punkt. Durch unsere Bewegungen kommen wir dem einen Punkt näher, der wie nichts ist.

Aber etwas muss ich noch erklären:
In der Sprache meines Volks gibt es die Wörter "Augenblick", oder "Moment" nicht. Früher kam es uns nie in den Sinn, das Gegenwärtige als statisch oder ruhend aufzufassen, so wie ihr das macht. Alles bewegt sich, und in jeder Gegenwart ist eine unmittelbar bevorstehende Bewegung zu erkennen. Keineswegs ist in der Gegenwart ein Stillstehen! Im Moment ist eine Bewegung. Im Tanz sind es gerade wir selbst, die eine machen. Das ist ein Kult.  Natürlich fangen wir damit nicht alle unzähigen Impulse im ganzen Universum ein. Was wir einfangen, bezieht sich auf uns selbst.  So etwas muss sich aber keiner überlegen.

"Der Moment von jetzt" wird in meinem Volk einfach nicht reflektiert. Es geschieht, es handelt.  Es gibt da kein Zögern, verstehst du? Es kommt nichts nichts dazwischen. Keine Überlegung, auch keine Absicht.

 
(Pause)
Alles geht blitzschnell. Du entscheidest dich blitzschnell. Du reinigst dich blitzschnell, indem du alles loslässt. Du lässt alles stehen! In einem einzigen Akt lässt du alles sein. So trittst du in die Mitte einer Tanzfläche!
 
Tepeh
Die Tanzfläche ist mein eigenes Bewusstsein, nicht wahr?

Hottotte
Zuerst ja, dann wird es allgemeiner, subtiler. Es ist Bewusstsein da, das schon, aber es fehlt der enervierende Kreislauf der Selbstbespiegelung von "ich bin so und so - ich fühle das - ich mach das".

Tepeh
Könnte man das ein Überbewusstsein nennen?

Hottotte
Ich glaube, Überbewusstsein ist immer Überbewusstsein. Es ist immer da.
Unser privates Bewusstsein besteht aus Überbewusstsein und begrenzenden Beimischungen.

(Pause)

Du kannst das nur praktisch angehen: durch ein Tun. Durch den Tanz.
Denken ist beim Menschen etwas Totes, etwas Reflektierendes. Man dringt damit nicht durch.

Wo liegt wohl das Wesen der Dinge verborgen? Eine Spanne vor dem Herzen, einige Spannen weit über dem Kopf?


(Pause)


Nach unserer Lehre machst du einen Tanz mit dem Absoluten. Ist die Beziehung da, dann machst du jede deiner Bewegungen bewusst und kannst dich in diesem Bewusstsein bewegen.

Du musst bedenken: Es gibt im Grunde genommen kein Innen und Aussen.  Es gibt kein Ich und Du.  

Wir kämpfen gegen solche Wahnvorstellungen.

Tepeh
Was denkt ihr über Moses und Aaron, die die ganze Herrlichkeit des Herrn schauten?


Hottotte
In unserem Volk gab es keine Figuren wie Moses, Jesus oder Mohammed. Bei uns war früh bekannt, dass die Welt unteilbar ist.
Diesseits und Jenseits, Schöpfer und Welt sind nicht auseinander zu halten. Wir haben aber nichts gegen ein Gottesbild, wie es in den Bibeln und im Koran gezeichnet wird. Die Frage ist nur, was man damit macht. Ob man sich einbezogen fühlt, und diesen Gott im Alltag spürt.  Wenn das der Fall ist, kommen die Leute zu derselben spirituellen Praxis wie wir.

Es gibt im Universum nur EINE Spiritualität, das ist klar.

Tepeh
Welche Lehre steht dir ausser deiner eigenen am nächsten?

Hottotte
Die Upanischaden.  Die Advaitalehre. DschuangTse.  Linji.
Linji kommt aus unserem Volk, das ist klar. Er ist nach Osten gegangen. Wir wurden eher nach Westen getrieben.
Aber er hatte keine Kinder, glaube ich.  Sonst wäre dort noch eine Kolonie von den unsrigen.



KAPITEL 5       EIN PAAR PRAKTISCHE HINWEISE



Tepeh
Du erklärst zu wenig, wie es zur Bewegung kommt.
Ich trete auf.  Und dann?

Hottotte
Das Auftreten ist wie ein kleiner Ruck. Gut. Und dann ist es geschehen. Jetzt, an diesem Punkt angelangt, wird jede Bewegung eine Tanzbewegung sein, auch eine willkürliche.  Du kannst also irgendeine Bewegung willkürlich machen.

Wie im gesamten Zusammenhang von Gott und Welt ein Mensch nur einen Finger beugen und strecken kann, ist ausserordentlich rätselhaft.  Darauf beruht unsere Tanztechnik.  Wir wissen nicht, wie es geschehen kann, aber es ist jedenfalls so, dass eine Einheit entsteht.

Tepeh
Der eigene Wille spielt also eine Rolle.

Hottotte
Er ist entscheidend. Aber wir wissen nicht, ob menschlicher Wille menschlich ist!
Wir empfangen ja laufend etwas.  Dann sag mir bitte, wo dein eigener Wille her kommt!
Ich weiss es nicht.


Tepeh
Sind Gesten mit den Händen von Bedeutung?

Hottotte
Von grosser Bedeutung. Schau mal, was Tempeltänzerinnen machen. Der Papst. Staatsoberhäupter. Aerzte.
Jeder Schauspieler kennt die Bedeutung der Handbewegungen.  Beim TANZEN ist die Wirkung aller Handbwegungen aber umgekehrt: Sie wirken nach innen.

Alles, was du mit dem Händen machst, ist von grosser Wirkung. Wie hältst du die Handflächen? Gegen rechts, links, gegen oben, unten, gegen vorne oder nach hinten? Mit den Händen kannst du anziehen, abstossen, bannen, umlenken, sammeln, emporheben, geben und nehmen, empfangen, ableiten.

Du kannst auch Figuren ausführen wie im Tai Chi.
Das ist das gleiche Prinzip. Sie haben es ja von uns.


Tepeh
Das sind doch eher Energieübungen.

Hottotte
Nein.
Für unseren Tanz sind langsam ausgeführte Bewegungen alle brauchbar. Tempeltanz, Bodybuilding, Actionpainting, .. es gibt vieles. Für uns ist nur EINES wichtig: Die Intention. Und wir gehen schnurstracks aufs Ziel los. Alle Umstände, die stören können, versuchen wir zu vermeiden. Wir machen nicht Übungen zu einem Zweck wie Gesundheit, schöner Body, gute Darbietung.

Unser TANZ ist auch für Büroangestellte am Schreibtisch möglich und während der Arbeitszeit. Vielleicht nur mit Händen und Armen, aber das genügt.  Eine Position, ein Wechsel dieser Position. Gar kein Problem.

Tepeh
Gibt es bei euch das Problem nicht, dass man sich für 
unwürdig hält, vor das Höchste zu treten?

Hottotte
Niemand ist unwürdig und kein Moment ist unwürdig.
Eine gewisse Fähigkeit zur inneren Entleerung braucht es. Diese ist erlernbar. Wenn man sich im Fallenlassen von Gedankeninhalten ein wenig geübt hat, geht es blitzschnell damit.

Tepeh
Und andere Hindernisse wie Dummheit, Besessenheit, Krankheit?

Hottotte
Nicht alle erreichen die Tanzfläche. Es kommt vor, dass auch bei uns einer nicht mehr hinkommt. Ich habe nie behauptet, dass es nur Erfolge gibt. Wenn du an sehr schwache kranke Menschen denkst, so kann gut sein, dass diese nur im Schlaf so etwas wie eine Tanzfläche erreichen.  Und Menschen, die von etwas besessen sind, fixen Vorstellungen, Ängsten oder Triebkomplexen kommen auch nicht dahin.

Unsere sprituelle Technik verlangt ja eine gewisse Nacktheit, eine Entblössung. Viele Menschen tragen in sich selbst auch einen vollen Abfallkübel mit sich.  

Tepeh
Gibt es Techniken für die Reinigung und die Entledigung?

Hottotte

Wenn du im jetzigen Moment nicht zu dir selber kommen kannst, musst du sinken. Es wurde bei uns die Kunst der Demut geübt. Das Fallenlassen. Das Aufgeben. Die Hingabe. Die Ergebung.
Manchmal führt das Sinkenlassen des Willens in die Gegenwart hinein. Ein verhärteter Mensch ist ein Mensch, der nicht anerkennen kann, dass er machtlos ist. In gewisser Hinsicht müssen wir weich werden, wenn wir die Harmonie  finden wollen.
Natürlich gibt es bei uns die Trauer, das Gefühl von Versagen, das Gefühl von Verletztheit oder sogar von Schuld. Jeder Mensch kann das Gefühl von Nutzlosigkeit und Vergeblichkeit empfinden.

Tepeh
Was macht ihr, wenn es euch seelisch ganz schlecht geht?


Hottotte
Wenn es uns ganz schlecht geht, suchen wir einen Schamanen auf (einen von uns!), gehen auf tagelange Wanderungen oder lassen uns in einen tiefen Schlaf versetzen. Oder wir pflanzen einen Baum.

Wenn es uns nur normal-schlecht geht, gehen wir auf eine Tanzfläche versuchen, hinaus zu fliegen aus den Begrenzungen. Weiss du, im Kosmos gibt es nie nur eine Sache, es gibt in einer Ecke immer auch etwas Anderes. Nie gibt es nur Schlechtes.

Tepeh
Und im Tanz wird das Schlechte abgeschüttelt? Und jenes höhere Wesen übernimmt sozusagen deine gesamte Existenz?


Hottotte
Es ist so. Es ist nie anders. Im Tanz merkt man es endlich.

Tepeh
Ganz ohne Eigenwillen zu sein, ganz nur hingegeben, ist kaum noch verständlich für uns Europäer.


Hottotte
Weil ihr eure Religion verloren habt. Einem Christen habe ich geraten, die bekannte Formel: "Dein Wille geschehe, und es komme Dein Reich!" endlich genau zu nehmen.

Aber er wusste natürlich überhaupt nicht, was „das Reich Gottes“ bedeutet. Das Reich Gottes ist die grösste Tanzfläche mit allen Menschen drauf. (lacht)

(Pause)
Meine Vorfahren haben viel mit dem Absinken experimentiert. Ich habe gehört, dass da immer einige waren, die einen leeren Blick hatten, und von denen man sagte, dass sie weit fort seien. Sie sassen dabei teils wie Yogis auf dem Fussboden, andere aber auch bequem unter einem schattenspendenden Baum. Ich glaube, diese Leute übten sich, ohne Wahrnehmung zu sein.
Vielleicht lebten sie nur noch im Herz. Oder im Nichts.


Auffliegen
In unserem Volk wurde das Abstossen geübt.
Sobald du dich auf eine Tanzfläche stehen fühlst, bist du leicht. Dein Geist ist leicht. Auf der Tanzfläche bist du fast nur noch Geist. Wenn du noch in der Tiefe festhängst, kannst du jetzt abstossen, um aus dem Körper hinauszuschweben und aufwärts zu schweben.
Vielleicht ist es auch beim Tod so.

Aber dass wir ein Körper sind und desen Leben sind, ist doch das  grössere Wunder als das spirituelle Niemandsland. Findest du das nicht auch?

Das Nichts gebiert Leben, nicht nichts.  Der Ursprung aller Dinge ist  Leben.




Autor  :  Thomas Dunn               www.dunn.ch
 
von vor 1999, rev. Juni 2014